Am 16. April 2024 wäre Henry Mancini (1924-1994) 100Jahre alt geworden. Der US-amerikanische Filmkomponist hat insbesondere in den1960er-Jahren Melodien geschrieben, die zu den bekanntesten der Kinogeschichtegehören, von „Frühstück bei Tiffany“ über „Der rosarote Panther“ bis zu„Hatari!“. Die eingängigen, vom Jazz beeinflussten Kompositionen entsprachen denBedürfnissen der Epoche und könnten aus heutiger Sicht aus der Zeit gefallenwirken. Doch Mancinis Musik zündet noch immer. Eine Würdigung.
Die 1960er-Jahre: was für eine Epoche! Während sichdie Jugend revolutionär neu definierte und die Politik im Kalten Krieg wilde Kapriolenschlug, dominierten gesellschaftlich Verdrängung und Idylle. DieGeschlechterrollen waren fest zementiert, und nach Feierabend ging nichts über einenDrink und die Zigaretten, wenn man in den Florgewebe-Sofas versank oder sich anStehtischen amüsierte. Ganz so, wie es Cary Grant, Audrey Hepburn oder George Peppard in den unbeschwerten Komödienvon Stanley Donen und Blake Edwards vorlebten.
Auch daheim ließ sich die passende Musik auflegen, dievon schmissigen, aber nicht zu aufdringlichen Instrumentalklängen bestimmtwurde, erzeugt von Hammondorgel, Xylophon, Jazzbesen, schmusigen Bläsern unddem Summen von Gruppen, die sich „Swingle Singers“, „Kings Singers“ oder „RosySingers“ nannten und am Samstagabend das Fernsehprogramm grundierten. Musik,die ziemlich modern und ein wenig progressiv, aber auch unglaublich konservativklang. „Smooth Jazz“ oder auch „Easy Listening“, wie man es später mit leichtdespektierlichem Unterton titulierte.
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Auch im Hollywood-Kino der 1960er-Jahre hatte sich dernicht mehr ganz so avantgardistisch-frische Jazz im Vergleich zum Jahrzehntdavor deutlich aufgehellt. Er symbolisierte nicht mehr den einsamen,gebrochenen Helden, den Rebellen oder den sozialen Niedergang wie etwa in denKompositionen von Alex North oder Elmer Bernstein inFilmen wie „Endstation Sehnsucht“ (1951) oder „Der Mann mit dem goldenen Arm“ (1955). Der Jazz zog vielmehr in die Komödien undLiebesfilme ein, in leichte Dramen und Stehparty-Szenerien. Neben Lalo Schifrin („Mission: Impossible“) ist dies vor allem einem Komponistenzu verdanken: Henry Mancini aus Cleveland.
Krimis mit Jazzband
Zunächst noch mit rauem Unterton. Mancini, der seinHandwerk bei klassischen Komponisten wie Mario Castelnuevo-Tedescound Ernst Krenek gelernt hatte, wurde in den späten 1950er-Jahrendurch seine Musiken für Krimi-Fernsehserien bekannt: für „Mr. Lucky“etwa oder „PeterGunn“, eine Detektiv-Serie mit einem „schmutzigen“ Bläser-Motivund einem nicht zu stoppenden Beat. Der Produzent Hans J. Salter berichtete,wie es dazu kam, bei „Peter Gunn“ Jazz zu verwenden: „Man setzte kleineOrchester fürs Fernsehen ein. Große konnte man sich nicht leisten. Also sagtenwir, lasst uns stattdessen eine Jazzband nehmen. Eine Jazzband mit 14 Mannklingt besser als ein herkömmliches Orchester mit 28.“ Henry Mancini machte ausder Not eine Tugend - und hatte damit großen Erfolg. Mister Lucky eben!
Nachhaltiger konnte sich Mancini jedoch erst mitanderen Arbeiten in den Köpfen der Zuhörer festsetzen. Unter den dunklerenScores ist vor allem „Im Zeichen des Bösen“ zu nennen. Orson Welles’ Meisterwerk von 1958 spielt in einer mexikanischen Grenzstadt.Der Film erhielt durch den Latin-Jazz-Einschlag im Soundtrack und der massivenVerwendung der zeitgenössischen Schlager-Musiken aus dem Off der Radiogeräte eineungewöhnlich realistische Note. Auch wenn Welles das zunächst nicht so geplanthatte, wurden die ersten Minuten des grimmigen Krimis weltberühmt, da Mancinider in einer einzigen Einstellung gedrehten Vorspannsequenz einen rassigenLatino-Swing unterlegte.
Die dreieinhalbminütige Kranfahrt führt sowohl ein Auto mit einer tickendenZeitbombe als auch die beiden Hauptdarsteller Janet Leigh und Charlton Heston über die mexikanisch-amerikanische Grenze. Bis heute istumstritten, welche Version des Vorspanns die „eingängigere“ ist: die aus der Kinofassungmit Mancinis Musik oder die von Welles präferierteFassung, die die Grenzfahrt „nur“ mit Musik ausden Autoradios und den Kneipen am Straßenrand begleitet. Hier steht klassischerHollywood-Sound gegen Realismus.
Außer Frage steht indes, dass das Team Welles/Manciniim weiteren Verlauf des Films das Kunststück vollbrachte, eigentlich harmloseund rockige Latino-Standards als Hitchco*ck’sche Suspense-Musik einzusetzen. EinUmstand, der Mancini Jahrzehnte später auf die Füße fiel, als ihn Hitchco*ckbei „Frenzy“ (1972) mit der Bemerkung feuerte, wenn er seinenebenfalls geschassten Hauskomponisten Bernard Herrmann wollenwürde, hätte er diesen höchstpersönlich wieder eingestellt, anstatt einenNachmacher zu engagieren.
Komponistfür Filme und Plattenverkäufe
Doch von solchen Rückschlägen abgesehen war Manciniimmer wieder der richtige Mann zur richtigen Zeit. Denn in Hollywood fandendamals entscheidende Veränderungen im Umgang mit Filmkompositionen statt. Tony Thomas notierte 1991 in seinem Standardwerk „FilmScore – The Art and Craft of Movie Music“: „Durch die Macht derSchallplattenindustrie sind die Produzenten so nachdrücklich auf denWerbeeffekt der Filmmusik auf Schallplatte aufmerksam geworden, dass dies nichtohne ungünstige Auswirkungen auf die Standards der Filmmusik blieb. DieProduzenten liebten bei Filmmusik nicht mehr deren funktionale Aufgabe, sondernihren Absatzwert in Plattenform. Mancini war der Komponist, der sich inbeiderlei Hinsicht bewährte.“
Zum einen lieferte er den Produzenten immer die Musik,die den Anforderungen des Films gerecht wurde. Zum anderen ließen sich seineKompositionen aber auch wunderbar auf Schallplatte vermarkten. Waren es in den 1930er-und 1940er-Jahren noch Jazzgrößen wie Duke Ellington oder Louis Armstrong, die Musikfilme allein durch ihr Auftreten pushten, drehtesich das Erfolgsrezept nun um. Der eigens für den Film komponierte Jazzproduzierte seine eigenen Stars, und Henry Mancini avancierte fast beiläufigmit seinen Jazzarrangements zum Inbegriff des Sounds der Swinging Sixties.
Hitsam laufenden Band
Egal, welche Genretönung gerade die Richtung vorgab:Mancini machte Hits daraus. Die melodramatische Komödie „Frühstück bei Tiffany“ (1961), der halsbrecherische Abenteuerfilm „Hatari!“(1962), das sentimentale Melodram „Die Tage des Weines und der Rosen“(1962), der temporeich-humoristische Kriminalfilm „Charade“(1963), die aberwitzige Komödie „Der rosarote Panther“ (1963)nebst ihren Fortsetzungen. Und schließlich als Opus magnum in Sachen swingenderParty-Leichtigkeit: „Der Partyschreck“ (1968) mit Peter Sellers.
Sicher, man könnte der Meinung sein, dass Blake Edwards die Melodie von „Moon River“in „Frühstück bei Tiffany“ zu inflationär einsetzt, was sie alsLeitthema für die Neurosen der Holly Golightly etwas verwässert. Doch wenn manehrlich ist: Welcher Regisseur würde das nicht tun, wenn er eine solche Melodiewie diese sentimentale, aber nicht kitschige, romantische und doch auch hippe,einfach zeitlose Musik zur Verfügung hat? Eine Musik, zu der Johnny Mercer zudem einen begnadeten Text geschrieben hatte, dessen Bedeutung alljene in ihre Tiefe mit auskosten, die sich ähnlich verzweifelt undsehnsuchtsvoll nach Liebe und Zuneigung sehnen wie Holly Golightly, die durch Audrey Hepburn ein unsagbar schönes Gesicht und gleichzeitig einen Ausdruckder Zerrissenheit erhalten hat. Nicht auszudenken, wenn sich die Produzentendurchgesetzt und diese Szene aus dem Film geschmissen hätten, in der Holly amFenster ihres Appartements sitzt und Gitarre spielend dieses Lied verträumt undgebrochen gen Himmel singt.
Dem Komponisten bescherte dieser Umstand seine ersten beidenvon insgesamt vier „Oscars“ – neben der Filmmusik und dem Song zu „Frühstück bei Tiffany“ kamen noch die Preise für den Titelsong zu „Die Tage des Weines und der Rosen“ und die Musikadaption zum Filmmusical „Victor/Victoria“aus dem Jahr 1982 hinzu.
Musikvoller Evergreen-Qualitäten
Berühmtheit ist aber immer auch ein Fluch. Nichtzuletzt die Evergreen-Qualitäten von Mancinis Musik sind es, die seine Klängeinzwischen eher mit erdigen Herren-Deos oder dumpf im Kreis umhertrottenden Zirkuselefantenassoziieren lassen. Das ist eine Schande, obwohl man sich dagegen schlichtnicht wehren kann. Warum hat der Meister des Hollywood-Easy-Listening-Soundsauch eine derart eingängige Musik komponiert, die man eine Ewigkeit lang nichtmehr aus dem Kopf bekommt? Wie kommt ein Komponist auch auf den „Baby Elephant Walk“aus „Hatari!“? Unbeholfen umherdrucksende Holzbläser unterschlichtem Ostinato aus vier Orgeltönen und einer trotteligen Tuba. Fertig ist eintänzelnder Marsch, der im coolen 1960er-Jahre-Sound zudem nicht nurverschmitzt, sondern auch noch tanzbar erscheint. Wer braucht da nochElefanten?
Zweifellos hat sich dieFilmmusik seither radikal verändert. Im 21. Jahrhundert gibt es eigentlich nurnoch Hans Zimmer, der es wagt, Melodien zu schreiben, und auchdie funktionieren weniger als Songs denn als ätherische Soundscapes für dasSpektakel. Mancini mag heute ein wenig „angestaubt“ klingen, ganz so wie es co*cktailsofas,Kettenraucher, Cognac-Trinker und die Weltbilder der Filme von Stanley Donen und Blake Edwards sind. Doch die Melodien zünden. Dasist vielleicht befremdlich, funktioniert aber. Auch in 100 Jahren noch.Sentimentalität ist ein Urbedürfnis des Menschen. Und Mancini ist der idealeRepräsentant, wenn er den Gehörgängen und der Seele schmeichelt. Wie singen sie dochin „Die Tage des Weines und der Rosen“:„Just a passing breeze - Filled with memories - Of the golden smile - Thatintroduced me to - The days of wine and roses - And you!“
Eine Auswahl der besten Mancini-Filmmusiken:
Im Zeichen des Bösen (1958)
Ein Mordfall in einer schmutzigen Kleinstadt an dermexikanischen Grenze ist Anlass für das tödliche Duell zwischen einem jungenmexikanischen Rauschgiftfahnder und dem alten Polizeichef. |Hörprobe
Frühstück bei Tiffany (1961)
Eine 18-jährige Frau aus der Provinz, auf der Suche nach demGlück, flirtet mit vermögenden Herren in New York, um am Ende die ersehnteGeborgenheit in den Armen eines kleinen Schriftstellers zu finden. |Hörprobe
Der letzte Zug (1962)
Eine Bankangestellte und ihre Schwester werden von einemVerbrecher bedroht und zum Diebstahl erpresst. | Hörprobe
Hatari!(1962)
Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe erlebt waghalsigeAbenteuer beim Tierfang in Tanganjika. Mit der Ankunft einer hübschen jungenFotografin tritt zur Gefahr durch die wilden Tiere die komplizierteVerstrickung durch die Liebe hinzu. | Hörprobe
Die Tage des Weines und der Rosen(1962)
Ehe und Karriere eines Public-Relations-Managers werdendurch übermäßigen Alkoholkonsum zugrunde gerichtet. | Hörprobe
Charade(1963)
Die hübsche Witwe eines Betrügers sieht sich von dreiGangstern bedrängt und schwankt zwischen Schutzbedürfnis und Misstrauengegenüber dem geliebten Mann. | Hörprobe
Derrosarote Panther (1963)
In pittoresken Urlaubsorten ist ein versierterGentlemanverbrecher hinter dem rosaroten (einem Diamanten) her. Der ermittelndeInspektor hat keine Ahnung, dass seine liebe Ehefrau die Komplizin und Geliebtedes Täters ist. | Hörprobe
Zwei auf gleichem Weg (1967)
Nöte und Schwierigkeiten einer Ehe nach 12 gemeinsamenJahren, die während einer Urlaubsreise in Südfrankreich vor dem Ende zu stehenscheint. |Hörprobe
Gunn (1967)
Ein Mord als Ausgangspunkt für den Kampf zweierrivalisierender Gangsterbanden, in den sich die Polizei und PrivatdetektivPeter Gunn einschalten. | Hörprobe
Der Partyschreck (1968)
Ein sanftmütiger, aber tollpatschiger indischer Filmstatist,gerät durch Zufall in die Party eines Hollywood-Produzenten und verwandeltdessen Villa unbeabsichtigt in ein Tollhaus. | Hörprobe
Sonnenblumen (1970)
Eine Italienerin sucht ihren Mann in Moskau, der nach demKrieg als in Russland vermisst gemeldet wird und findet ihn in einem Dorf –verheiratet, mit einem Töchterchen, erinnerungslos. | Hörprobe
Frenzy (Rejected Score) (1971)
Ein angeblicher Frauenmörder befreit sich durch einen Trickaus der Haft, um den wirklichen Verbrecher zu töten. | Hörprobe
Lifeforce - Die tödliche Bedrohung/Lifeforce (1985)
Außerirdische Wesen haben es auf die Seelenenergie derMenschen abgesehen, die sie ihnen wie Vampire aussaugen. Erst durch das Opfereines Kommandanten wird die Katastrophe gebremst. | Hörprobe